Dörfliches Leben in Lengde
  Im Harly
 

Der Harly
von Wilhelm Buchterkirchen, Lengde aus den Vienenburger Nachrichten von 1923

Die Bewohner von Lengde nennen ihn auch den Kirchenholzberg, weil die Nordseite des Berges Grundeigentum der Kirche zu Lengde ist. Der Name Franzosenkopf stammt aus der Zeit der französischen Fremdherrschaft Napoleons I. (Bonaparte).

Wie uns die Überlieferungen der älteren Bewohner der Umgegend erzählen, haben die Franzosen seinerzeit ihr Lager hierselbst gehabt. Desgleichen rührt hiervon die Bezeichnung des Weges Franzosenstieg. Von dieser Höhe aus hat man nach Süden über den Grundweg hinweg gegen die Harlyburg ein wunderbar liebliches Waldpanorama. Einen schönen netten Eindruck gibt der Überblick über Vienenburg mit seinem alten Burgturm. Auf gleicher Höhe liegen die beiden Kirchen des Ortes und unmittelbar vor sich hat man das rege Leben und Treiben auf dem Bahnhof Vienenburg. Am meisten aber imponiert dem Naturfreund wohl die großartige Gebirgslandschaft des Harzes, welche man von hier aus in ihrer ganzen Ausdehnung vor sich hat, mit dem Altvater Brocken recht majestätisch in der Mitte. In derselben Richtung vor dem Harz liegt der bekannte Badeort Bad Harzburg mit seinen prächtigen Villen und seiner herrlichen Umgebung. An der Bahnlinie Harzburg linker Hand liegen die Hochöfen der Mathildenhütte, rechts etwas näher das kleine Radauer-Wäldchen. Im Osten sieht man bei klarem Wetter recht deutlich das Grafenschloss Wernigerode, über Stötterlingenburg im Hintergrunde den Huy bei Halberstadt, auch selbst die Türme der Stadt schimmern aus der Ferne. Wenn sich die Augen und das Herz der Menschen von diesem Punkte aus genug an der Natur gesättigt und geweidet haben, so wandern wir wieder etwa ¼ Stündchen nach Westen, den auf dem First entlang führenden Weg zum Aussichtsturm.

Der Aussichtsturm ist fast in der Mitte des Harly und bildet dessen höchste Erhebung, 256m ü.d.Meer. In der Geschichte des Harly birgt er ein besonderes Kapitel für sich. Man nimmt an, dass der untere massive Bau des Turmes von dem ehemaligen Klostergutsbesitzer Jakobsohn Wöltingerode erbaut ist. Dieser hatte das Klostergut vom 1. Juni 1809 bis zum Jahre 1813 als Privateigentum in seinem Besitz. Jakobsohn war der geheime Finanzrat des Königs Jerome von Westfalen. Diesem Manne wird eine große Mildtätigkeit für die Armen nachgerühmt. Auf seine Anordnung bekamen die Armen der Gegend Holzwasen aus dem Klosterforst. Auch war er eine Persönlichkeit mit weitschauendem Blick und praktischen Ansichten. Er soll einen Plan gehabt haben, den Harly zwischen Lengde und Wöltingerode auf seinem oberen Kamm zu durchbrechen und eine Landstraße vom Amt Schladen über Wöltingerode nach der Stadt Goslar zu bauen.

Als im Jahre 1813 das Bistum Hildesheim zum  Königreich Hannover kam, trat Jakobsohn das Klostergut an die hannoversche Regierung ab, weil damals nach dem hannoverschen Gesetz kein Israelit Grundeigentum besitzen durfte. Wöltingerode wurde mit dem Klosterfonds vereinigt.

Wir überspringen nun einige Jahrzehnte. Bereits in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde auf Anregung des Försters Ahrens aus Wöltingerode in allen umliegenden Ortschaften des Harly eine Sammlung veranstaltet zur Ausbesserung und Restaurierung des Turmes. Es kam auch bedeutender Betrag von 200 Talern zusammen, und auch damals wuchs das Interesse in weiten Kreisen der umliegenden Ortschaften. Es bildete sich zugleich ein Gesellschaftsklub Vienenburg und Umgegend, welcher diesem Unternehmen seine besondere Unterstützung angediehen ließ.

Folgende Herren nahmen sich der Sache besonders an: Der reitende Förster Crone, Wiedelah, Apotheker Jäger, Vienenburg, Amtmann Kammlah, Vienenburg, Gastwirt Biermann, Gasthof „Zur Börse“ Vienenburg. Ferner die drei Herren Assessoren Böttcher, von Hoppenstedt und Wangenheim vom Amtsgericht Wöltingerode und noch mehrere, mir nicht bekannte Herren. Durch den Eifer des Försters Ahrens wurde jetzt aus dem Erlös der Sammlungen aus den umliegenden Dörfern das zweite Stockwerk auf den Turm aufgebaut, wodurch die Aussicht auf den Harly bedeutend erweitert wurde. Auch erhielt jeder Gemeindevorsteher der nahen Dörfer einen Schlüssel, damit die Anwohner der beteiligten Gemeinden jederzeit freien Zutritt zum Turm hatten.

Recht bald rissen jedoch allerlei Unsitten ein. Förster Ahrens aber wusste diesem abzuhelfen. Er ließ das Türschloss abreißen und durch ein neues ersetzen. Das Schlüsselrecht lag jetzt nur in seiner Hand.

Nachdem der Turm in entsprechender Weise instandgesetzt war, eröffnete Förster Ahrens 1945 hier oben einen Ausschank. Es entwickelte sich allmählich ein reger Verkehr. Hier kam für die Gegend das erste Einbecker Bier zum Ausschank, das durch den Fuhrmann Deike, Vienenburg, von Goslar mitgebracht wurde. Um seinen Gästen ausgiebige Unterhaltung zu bieten, ließ Ahrens auch noch eine Kegelbahn anlegen. Der Verkehr hob sich immer mehr und mehr. Schließlich schritt Förster Ahrens noch zum Bau eines Zeltes. Dieses war ungefähr so groß, wie der jetzige Wilmsche Saal in Lengde. Es wurde zugleich als Tanzzelt genutzt.

Die Bedienung wurde durch Förster Ahrens besorgt, insbesondere aber auch durch seine Tochter Luise und seine beiden Söhne. Letztere widmeten sich später dem Forstfach. Ein bunt bewegtes Leben herrschte nun auf luftiger Waldeshöhe im schönen grünen Harlywald.. Dienstag und Freitag kegelte der Gesellschaftsklub. Sonntags war allgemeiner freier Zutritt. Alle 14 Tage gab die Kapelle Wegener aus Goslar ein Konzert. Als Zeichen, dass die Kapelle am nächsten Tage musizierte, wurde am Sonnabend die Fahne aufgezogen. Spielte die Goslarer Kapelle nicht, so gaben die Herren Breust und Sommer aus Vienenburg die Musik. Der Verkehr hatte einen solchen Umfang angenommen, dass am Sonntag viele Gäste von Harzburg und Goslar zugegen waren. Auch das Offizierscorps der Goslarer Jäger fehlte selten. Ein geselliges Leben für die ganze Gegend spielte hier oben auf dem Harlyturm. Der Harly hatte großen Ruf erhalten. Sogar ein Herr aus Amsterdam, dessen Name noch im oberen inneren Turm verzeichnet steht, hat ihn besucht. Dadurch, dass Wöltingerode damals Sitz der Kreishauptmannschaft war, ward die Bedeutung des Harlyturmes gehoben. Einmal im Jahre gab der Gutspächter Osthausen aus Wöltingerode hier ein Fest für sein ganzes Dienstpersonal. Den höchsten Glanzpunkt erreicht das Leben an dieser Stätte erst, als zur Zeit des Königs Ernst August v. Hannover zweimal Hofjagd hier abgehalten worden ist. Es war nämlich zur damaligen Zeit alle Jagd königlich. Zum letzten Male jagten die hohen Herrschaften im Jahre 1848. Die Jagd wurde vom Schladerner Berg und von Beuchte aus gegen den nördlichen Harly getrieben. Am nördlichen Waldrande, da wo heute das Wasserbecken der Beuchter Wasserleitung liegt, an der Lengder Waldgrenze, war der Jagdstand des Königs von Hannover. Als Erinnerung müsste man diesen Punkt „Ernst-August-Ecke“ benennen. Hier wurde dann eigens zu diesem Zwecke eine im rechten Winkel aufgebaute Vergatterung angelegt, mit der offenen Seite nach Norden, und der König erhielt hier reiche Beute. Den Schlussakt der Hofjagd bildete eine Feier auf dem Harlyturm, wobei es dann sehr lustig herging.

Jedoch durch die veränderten Zeitverhältnisse des Jahres 1848 und auf Drängen der Landgemeinden wurden die Jagden an die Privateigentümer der Forst und Realinteressenten verkauft. Ferner trug aber auch das hohe Alter des Monarchen, sowie der Umstand, dass der Kronprinz von Jugend an erblindet war, dazu bei, dass die Hofjagden am hannoverschen Hofe nicht mehr durchgeführt wurden. König Ernst August segnete 1851 das Zeitliche. Ihm folgte sein blinder Sohn als König Georg V. in der Regierung bis 1866, wo Hannover preußische Provinz wurde.

Durch die Umwälzung verlor auch der Harly allmählich seine Anziehungskraft. Förster Ahrens hatte nur noch wenig Interesse. An der Unlust Ahrens zu seinen geschaffenen Werken trug zugleich seine Pflichttreue im Amte bei. Wie schon vorweg erwähnt, war ehemals alle Jagd königlich. Einige Kreise der Umgegend verleiteten die neuen Verhältnisse zur Überschreitung der Jagdgesetze. Förster Ahrens traf im Dienste die Gebrüder Clemens aus Beuchte bei einem Verstoß gegen die Jagdordnung und stellte die Frevler.

Um den Förster zu demütigen, überfielen sie gemeinsam Ahrens aus einem Versteck im Walde, wobei Ahrens unterliegen musste. Der Rückhalt der Regierung blieb in dieser Sache aus und nun ließ er sich nach Rühningen versetzen. Das Tanzzelt wurde 1851 abgerissen und auf Abbruch verkauft. Hiervon stammt noch die Verschalung im zweiten Stock des Hauses Nr. 75 in Lengde, früher dem Brinksitzer Heinrich Schaare, jetzt dem Kaufmann August Buchterkirche gehörend. Haus Nr. 75 liegt der Friedenseiche gegenüber, am sogenannten Kuhhirtenberg. Im Jahre 1853 zog Förster Ahrens fort, verkaufte aber den Ausschank des Turmes erst noch an den Gastwirt Mensing aus Wöltingerode. Nach Mensing übernahm Gastwirt Mellhof nochmals den Betrieb, konnte ihn aber nicht mehr aufrecht erhalten. Er ließ nun auch die Kegelbahn abreißen und baute dieselbe in Wöltingerode bei seinem Gasthof auf. Hierdurch sank der Verkehr bald zu einem Nichts herab.

Vorliegende Tatsachen über die Geschichte des Harlyturmes wurden mir bestätigt durch größtenteils persönliche Erlebnisse des Herrn Böttchermeisters Wilhelm Füllekrug aus Lengde, geb. 1837.  Derselbe hat damals in seinen Knabenjahren 1846-1848 die Kegel auf der Harlyturmkegelbahn aufgerichtet. Im Winter 1922 hat Genannter in hohem Alter das Zeitliche gesegnet.

Nachdem wir die Geschichte des Harlys behandelt haben, wollen wir uns noch einmal der schönen Natur freuen. Wir wollen aus dem oberen Stock des Aussichtsturmes einen Rundblick werfen. Wir haben ein liebliches und idyllisches Waldgelände rings herum über den ganzen Harly hinweg. Im Süden sehen wir die großartigen Gebirgspartien des Harzes. Vor dem Eingang in das Okertal liegen, in fast stetem Rauch und Dampf gehüllt, die Oker-Hüttenwerke. Rechts daneben platziert sich dicht vor dem Harz der Sudmerberg mit der Sudmerwarte. Weiter westlich grüßt uns ehrerbietig und erhaben die alte Reichsstadt Goslar. Diese Kaiserstadt ruft uns ihre ganze ruhmreiche Vergangenheit aus der Ferne zu. Goslar war der Lieblingssitz Kaiser Heinrich III., der von 1039-1056 regierte. Hier wurde auch am 11. November 1050 sein Sohn Heinrich IV. geboren.

Gehen wir nun im Gelände nach Westen, so präsentieren sich die schönen Waldungen der Bier-Berge im Zusammenhang mit dem Heinberg und der Meseburg. Am Fuße des Heinberges liegt das Dorf Immenrode. Noch tiefer nach Westen zu blinzelt und schimmert uns am nördlichen Waldrande des Bärenkopfes bei klarem Wetter das Schloss Liebenburg aus der Ferne grüßend entgegen. Will man nun einen wirklich schönen Ausblick nach Norden haben, so tut man am besten, man geht vom Aussichtsturm aus einige 100 m nach Norden hinab. Hier liegen die in den Jahren 1896-1898 ausgerodeten Lengder Waldwiesen. Durch diese Wiesen am Waldsaume entlang führt ein Weg, der durch seine ausgezeichnete Höhenlage dem Wanderer eine sehr reichlich lohnende Aussicht bietet. Von hier aus hat man den allerschönsten Rundblick ins freie Land.

Tritt der Wanderer vom Aussichtsturm nördlich vor die Lengder Waldwiesen aus dem Walde, so liegt fast vor der Mitte des Harly schön in ländlicher Stille in einer kleinen Mulde die Ortschaft Lengde. Gehen wir weiter von dieser zum Aussichtspunkt vortrefflich geeigneten Wiesenhöhe aus ringsum im Kreise in die nette Landschaft hinein, so kommt dem frohen Wandersmann unwillkürlich das schöne Lied von Eichendorff in den Sinn:

O Täler weit, o Höhen
o schöner grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt’ger Aufenthalt!

Hier bietet sich jedem wahren Naturfreunde ein dankbarer Überblick über die gesegneten Fluten der Landschaft. Hier sieht man auch viele Ortschaften, Berge und Täler, Wald und Wiesen, nah und fern in ihrer Sommerpracht. Im Nordwesten über Beuchte hinweg ist es die Ortschaft Wehre, die anmutig an der Ecke eines kleinen Wäldchens liegt.

Anmerkung: Hier endet die Erzählung, da die nächsten Ausgaben der „Vienenburger Nachrichten“ leider nicht mehr vorliegen – schade!

 

 

Der Kräuter-August

Der Kräuter–August die zweite bekannte Sagengestalt aus dem Harly. Er soll im 18. oder 19. Jahrhundert in der großen Höhle am Bärental gehaust haben und ein rauer, zottiger, aber gutmütiger alter Mann gewesen sein:

Mit den Holzbauern hielt der Alte gute Kameradschaft und bat öfter um einen Löffel Suppe aus ihren Töpfen. Er dankte mit guten Ratschlägen. Besonders sagte er ihnen, wo heilkräftige Kräuter wuchsen und wie sie anzuwenden seien. Davon kam der Name „Kräuter–August“.

 

Im Kloster Wöltingerode lebte einmal eine Äbtissin, die war noch jung, aber krank auf der Brust. Da sie noch Lust zum Leben hatte, dachte sie, es könne nicht schaden, wenn sie es neben ihren Gebeten auch einmal mit dem Kräuter–August versuchte. Sie schickte ihm also einen Topf gute Rindfleischsuppe. Kräuter–August ließ sich nicht lange bitten. Schon am Abend brachte er ein großes Bündel Lungenkraut, wovon die Äbtissin wirklich gesund wurde. Seitdem war Freundschaft zwischen der Höhle und dem Kloster. Man erzählt sogar, dass sich Kräuter–August in der Kirche zu Wöltingerode habe taufen lassen.

 

 

 
   
 
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